Spiegelbilder

Die Intensität des Authentischen – Drei Fragen an Ingo Schrader

 

Herr Schrader, eine Gruppe Ihrer Arbeiten nennen Sie „Spiegelbilder“. Was hat es damit auf sich?

Zunächst einmal ist das ganz wörtlich zu verstehen: Ich arbeite hier mit Spiegeln – ob als Übermalung eines Glasspiegels oder als Objekt aus Spiegeln unter Verwendung des Materials. In Bezug auf vorherige Arbeiten knüpfen die Spiegelbilder einerseits an zahlreiche meiner Fotoarbeiten spiegelnder Flächen insbesondere von Wassersituationen an, die mich schon immer faszinieren. Andererseits finden sich auch in meinen architektonischen Arbeiten oft Spiegel an strategischen Stellen. Auch die Grafitbilder oder das Messingobjekt „Aura“ beziehen ihren Reiz aus der Reflektion der Oberfläche. So kam es fast zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit dem Spiegel als Material.

Wo genau liegt hier Ihr Interesse?

Neben der faktischen Widergabe des Gegenübers oder des gespiegelten Objekts beschäftigen mich auch die kulturell impliziten Assoziationen von Spiegeln in verschiedenen Settings: das Eitle, das Billige, das Metaphysische – vom Friseur bis zum Cabaret, von Versailles bis Alibert, von Narziss bis zum Weltraumteleskop.

Die Modulation der Spiegelfläche, etwa durch Übermalung, bricht die Assoziationen und stellt die ganz ursprüngliche Faszination einer scheinbaren Erweiterung des Raums wieder her. Der Spiegeleffekt wird so auf das gewünschte Maß dosiert und kalibriert.
Andeutungen und Ahnungen, die Verschleierung des Blicks in den verborgenen, virtuellen Raum, geben diesem soviel Geheimnis zurück, dass es wieder spannend wird, in den Spiegel zu sehen. Die entstandenen Strukturen verstehe ich als bewusstes Spiel mit eben dieser Konnotation von Objektivität und Reinheit wie auch mit Subjektivität und Verklärung, dabei geht es immer auch um die räumliche Dimension des Spiegels.

Das Relief der Oberfläche fokussiert den Blick, reduziert die Fülle der Möglichkeiten und Eindrücke und lenkt den Blick des Betrachters. Gleichzeitig verleiht es dem Werk Vieldeutigkeit und Tiefe. Im Tagesverlauf entstehen durch Lichtveränderung immer wieder neue Wirkungen und Facetten, es entfaltet, bei aller vordergründiger formaler Reduktion, einen unerwarteten Reichtum an Ausdruck und Varianz, den man fast „lebendig“ nennen könnte.

Sie sprechen also vom Übergang der Fläche in den Raum?

Ja genau. Mit meinen Arbeiten lote ich immer wieder die Übergänge zwischen den Dimensionen aus – von Fläche zu Raum und Zeit und damit letztlich hin zum Fluiden, wie der Bewegung im Raum. Je nach Standort des Betrachters und Lichteinfall entstehen unterschiedliche Wirkungen hinsichtlich Farbspiel und Räumlichkeit – so lädt das Objekt immer wieder aufs Neue zum Einnehmen neuer Blickwinkel, zum Erkunden und zur spielerischer Bewegung im Raum ein. Der Betrachter wird zum Objekt und zum bewegten Gegenüber seiner selbst.

Der authentische Augenblick impliziert auch immer den Aspekt des Vergehens. Die physische Präsenz von Werk und Selbst im Raum und ihre Wahrnehmung mit dem eigenen Körper finden hier zusammen. Diese Intensität des Authentischen unterscheidet sich ganz bewusst von den allgegenwärtigen flachen analogen und digitalen Reproduktionen, Fotos und Bildschirminhalten.

Ingo SchraderSpiegelbilder